Mit rechten Kämpfern an der Sprachfront:
Sprachliche Strategien der Abwertung und Ausgrenzung
Joachim Scharloth (Waseda Universität, Tokyo)
Scharloth, Joachim. „Mit rechten Kämpfern an der Sprachfront“. Der Deutschunterricht, Bd. 2022, Nr. 2, 2022, S. 31–43.
▤ Inhalt
Abstract
Der Beitrag stellt anhand von Pejorativa sprachliche Strategien vor, die in neurechten Diskursen zur Abwertung kultureller Entitäten und zur Ausgrenzung von Menschen und Menschengruppen verwendet werden. Ausgehend von der Frage, was eigentlich Schimpfwörter sind, werden typische Wortbildungsmittel an Beispielen erläutert und die Funktionen herabwürdigenden Sprechens für die neue Rechte diskutiert.
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1. „Sag nicht ...“ -- Das Schimpfwort als Gegenstand der Sprachwissenschaft
1.1 Schimpfwörter in semantischer Perspektive

Schimpfwörter sind eine Herausforderung für die Sprachwissenschaft. Einerseits kann beinahe jedes Wort als Schimpfwort gebraucht werden, auch wenn es wie im Fall von Kuh, Mädchen oder Opfer andere dominierende Bedeutungen gibt. Und auch vermeintlich neutrale Kategorisierungen wie fettleibig oder behindert können als beleidigend und ausgrenzend aufgefasst werden. Andererseits aber können Schimpfwörter auch so gebraucht werden, dass sie nicht als beleidigend verstanden werden. Etwa beim Frotzeln als Praktik „kontrollierter Irritation“ (Günthner 2006: 103), die zwischen Vorwurf bzw. Kritik und Spielmodalität changiert, oder im Fall von Geusenwörtern, also von Minderheiten reappropriierten Beleidigungswörtern wie queer oder schwul.

Die große Mehrzahl der Sprecherinnen und Sprecher dürfte dennoch mit Geboten zur Vermeidung bestimmter Ausdrücke sozialisiert worden sein und die Regeln ihres (Nicht-)Gebrauchs sind daher fest im Sprachbewusstsein verankert. Schimpfwörter sind Tabuwörter, die zwar von der Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher verstanden werden, deren Gebrauch aber auf individueller wie institutioneller Ebene aufgrund sozialer Normen beschränkt oder gar sanktioniert ist, weil die Verwendung der betreffenden Ausdrücke negative Folgen zeitigt. Folgen freilich, die bestenfalls vage, meist jedoch nur implizit bei Tabuisierungspraktiken angedeutet werden (vgl. Jay 2009, 153).

So fest verankert die Existenz von Schimpfwörtern im kollektiven Sprachbewusstsein auch sein mag, so schwer ist ihre sprachwissenschaftliche Bestimmung. Umstritten ist insbesondere, ob Schimpfwörter einen mehr oder weniger festen Bedeutungskern haben oder ihre Bedeutung sich nur über den Kontext erschließen lässt.

Dies betrifft zum einen die Abgrenzung der Schimpfwörter von anderen Elementen des Wortschatzes. Die im Alltagssprachgebrauch als „Schimpfwörter“ bezeichneten Ausdrücke werden in der Sprachwissenschaft zu den Pejorativa gezählt (vgl. Technau 2018, 3-7), also zu einer semantisch bestimmten Klasse von Wörtern, mit denen die Sprecherinnen und Sprecher die mit den Ausdrücken bezeichneten Gegenstände oder Sachverhalte abwerten (Finkbeiner/Meibauer/Wiese 2016, 1). Daneben wird Schimpfwörtern häufig auch eine expressive Bedeutungskomponente zugeschrieben. Sie verweisen demnach indexikalisch auf Emotionen bei denjenigen, die [31|32] sie äußern, ohne die Emotion selbst zu bezeichnen (Technau 2018, 135). Bei ihnen handelt es sich analog zur pejorativen Dimension um negative Emotionen, beispielsweise um Abneigung, Ärger, Abscheu, Wut, Verachtung oder Hass, die ihre Wurzeln in Aggressionen haben.1

Diese Merkmale erweisen sich für die Abgrenzung eines pejorativen Wortschatzes als wenig trennscharf, denn die beleidigende, abwertende oder ausgrenzende Kraft der sogenannten Schimpfwörter liegt in der Art ihres Gebrauchs; oder in den Worten des Schimpfwort-Lexikographen Reinhold Aman: „Jedes Wort, das aggressiv verwendet wird, ist ein Schimpfwort.“ (Aman 1981, S. 165) So können Ausdrücke wie Schwein oder Kartoffel zwar zur Bezeichnung eines Tieres und einer Knollenfrucht verwendet werden, andererseits aber eben auch zur Beleidigung einer einzelnen Person oder einer bestimmten Personengruppe. Anders als es das Alltagsverständnis des Ausdrucks Schimpfwort nahelegt, tut sich die Linguistik also schwer damit, Pejorativa als diskrete Klasse des Wortschatzes zu bestimmen.

In der Linguistik durchaus umstritten ist zum anderen auch die Frage der referentiellen Bedeutung von Schimpfwörtern, also der Frage, worauf sie sich denn eigentlich beziehen. Einige Theorien vertreten die These, ethnienbezogene Beleidigungswörter (auch „Ethnic Slurs“ oder „Ethnophaulismen“) wie Kanake oder Kartoffel referierten auf dieselben Gruppe, auf die sich auch ihre nicht-pejorativen Korrelate, also Menschen aus Südosteuropa, dem Nahen und dem Mittleren Osten einerseits und Deutsche andererseits, beziehen (vgl. Technau 2018, 73-74). Ihre Bedeutung unterscheide sich dann lediglich dadurch, dass das Beleidigungswort noch einen pejorativen Bedeutungsaspekt habe (vgl. Finkbeiner/Meibauer/Wiese 2016, 7).

Dagegen wenden sich Hom und May (2013) im Paradigma der wahrheitskonditionalen Semantik. Wahrheitskonditional heißt dieser Zweig semantischer Theoriebildung deshalb, weil in ihm das Verständnis der Bedeutung eines Satzes gleichgesetzt wird mit der Kenntnis jener Bedingungen, unter denen dieser Satz wahr oder falsch ist. Hom und May argumentieren nun, dass sich Eigenschaften, die Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer nach race, Geschlecht, sexueller Orientierung etc. begründeten Gruppe zukommen, nicht moralisch nach einem Gut/schlecht-Schema bewerten lassen. Daraus folgt, dass auch die pejorativen, also negativ wertenden Bedeutungsaspekte von Ethnophaulismen nicht nach einem Wahr/falsch-Schema bewertet werden können. Sätze, die Ethnophaulismen (ethnienbezogene Beleidigungswörter) enthalten, mithin also Ausdrücke, die eine solche Bewertung von Menschengruppen vornehmen, können folglich nur dann wahr sein, wenn die Gruppenbezeichnung keine Extension hat, d. h. also sich auf nichts in der Welt bezieht, und die Sätze eine Negation enthalten (Kein Italiener ist ein Kanake.) (vgl. Hom/May 2013, 297).

Jeder andere Gebrauch von Ethnophaulismen (Karl-Heinz ist eine Kartoffel) ist demzufolge falsch, weil der Ethnophaulismus anders als die botanische Bezeichnung keine Extension hat (Karl-Heinz also folglich kein Vertreter der bezeichneten Gruppe sein kann). Die referentielle Bedeutung des Ethnophaulismus Kartoffel ist für Hom und May entsprechend nicht Deutscher + Pejoration. Trotz ihrer Null-Extension haben diese Ausdrücke dennoch ein beleidigendes Potenzial. Denn ihr Gebrauch (bspw. Karl-Heinz ist keine Kartoffel) setzt die äußernde Person dem Verdacht aus, eine (fiktive) Gruppe konstruieren zu wollen, der jene Eigenschaften zukommen, über die die Pejoration motiviert ist, also die Null-Extension abzulehnen (Es gibt Deutsche, auf die die abwertende Bezeichnung Kartoffel zutrifft, aber Karl-Heinz ist keiner von ihnen) (vgl. Hom/May 2013, 310). Entsprechend sei bei jeglicher Verwendung von Ethnophaulismen Vorsicht geboten, also beispielsweise auch zitierenden oder forensischen. Es sind solche Überlegungen [32|33] aus dem Bereich semantischer Theoriebildung, auf die sich Verfechter der generellen Tabuisierung von ethnienbezogenen Beleidigungswörtern stützen, auch wenn gebrauchssemantische Theorien andere Akzente setzen.

Obwohl also im Prinzip jeder Ausdruck zur Beleidigung benutzt werden kann und Schimpfwörter daher keine diskrete Klasse des Wortschatzes sind, gibt es doch eine Gruppe von Wörtern, die einen konventionalisierten Bedeutungskern haben, der in allen Situationen eine beleidigende Interpretation ihres Gebrauchs ermöglicht.

1.2 Schimpfwörter im Handlungskontext

Neben diesen Überlegungen auf dem Gebiet der Semantik rückt in pragmalinguistischer Perspektive die Frage ins Zentrum, woraus Schimpfwörter eigentlich ihre beleidigende Kraft beziehen oder anders gefragt, wie ihre pejorative Bedeutung und damit auch ihr Beleidigungspotential konventionalisiert wird.

Auch hier wird die Bedeutung pejorativer Ausdrücke nicht einfach aus dem Äußerungskontext, d. h. dem Kommunikationskanal, den physikalischen und raumzeitlichen Bedingungen, den Rollen und Redekonstellationen, dem Genre etc. (vgl. Deppermann/Spranz-Fogasy 2008, 1154-1155), hergeleitet. Für Judith Butler (1997, 13) etwa steht fest: „the circumstances alone do not make the words wound […] and that the deployment of words [that wound] is not reducible to the circumstances of their utterance“. Schimpfwörter werden vielmehr als Ausdrücke mit idiomatischer Prägung (Feilke 1996) verstanden, die sich ihrer Verwendung in typisierten kommunikativen Kontexten, Situationen und Funktionen verdankt.

Als theoretischer Referenzrahmen bietet sich die Sprechakttheorie an. Sprechakte der Beleidigung können nach Austin (1962) nur dann gelingen, wenn es im kommunikativen Haushalt einer Sprachgemeinschaft konventionelle Verfahren und Rituale mit dem Effekt der Herabwürdigung gibt und wenn die Personen und Situation für die Anwendung der Verfahren passen. Zwar kann der Gebrauch von Schimpfwörtern als eine Sprachhandlung beschrieben werden, nämlich als Sprechakt der Zuschreibung einer negativ bewerteten Eigenschaft oder sozialen Kategorie (Wagner 2001, 13ff.). Allerdings ist der Akt der Äußerung noch keine hinreichende Bedingung dafür, dass der Effekt der Beleidigung eintritt.

Dass beispielsweise ein bestimmtes Verfahren den Effekt der Herabwürdigung hat (mit X beleidige ich jemanden), ist nicht objektiv gegeben, sondern kann im Einzelfall umstritten sein. Und auch dass Personen und Situation für die Anwendung des Verfahrens passen, ist nicht per se gegeben, sondern eine Frage der Anerkennung durch Adressierte und Dritte (Person X ist nicht satisfaktionsfähig). Und selbst die für Handlungen konstitutiven Intentionen können durchaus bestreitbar oder umstritten sein (Ich wollte Sie gar nicht beleidigen. Es sollte ein Scherz sein., Er hat es nicht so gemeint.). Beleidigungen als Sprechakte in traditioneller Lesart zu modellieren, vermag also nicht zu klären, woher eine Äußerung ihre beleidigende Kraft erhält.

Anders als bei körperlicher Gewalt, die dem Opfer aufgezwungen werden kann, hat der Adressat bzw. die Adressatin einer Beleidigung daher im Prinzip auch die Möglichkeit, der Herabwürdigung die Anerkennung zu verweigern, in den Worten Butlers: „a possibility of disrupting and subverting the effects produced by such speech“ (Butler 1997, 19). Eine Beleidigung ist damit eine Co-Konstruktion von mindestens zwei Personen: einer, die beleidigt, und einer, die adressiert wird. Es ist also nicht ein souveränes Subjekt, das beleidigt, sondern es sind die Anschlusskommunikationen, die dafür sorgen, dass für eine grundsätzlich ambige Äußerung eine Interpretation hegemonial wird (vgl. Ellerbrock et al. 2018: 8-11).

Und hier kommen auch Dritte ins Spiel. Denn eine als Beleidigung intendierte Äußerung subversiv zu stören und so umzudeuten, dass sie misslingt, ist dann besonders schwierig, wenn Zeugen die Äußerung als Beleidigung auffassen und sie durch Zustimmung, kritischen Kommentar oder gar Trost als solche ratifizieren. Sprachliche [33|34] Gewalt ist eine Gewalt unter Dritten (vgl. hierzu Krämer, Kuch, Hermann 2006). Aber sie ist auch insofern eine Gewalt unter Dritten als Sprecherinnen und Sprecher im Namen Dritter sprechen, die sie mit sozialem Kapital ausstatten und ihren Äußerungen so eine größere Geltung verschaffen. Und auch auf einer noch allgemeineren Ebene kommen Dritte ins Spiel: Jede Beleidigung zitiert frühere Äußerungen Dritter und mit ihnen die diskursiven Konventionen und Klassifikationen, die Stereotypen und Normalitätsvorstellungen, vor deren Hintergrund eine Äußerung überhaupt als Beleidigung verstehbar und wirksam werden kann. Nur wenn beispielsweise Homosexualität als etwas Unnormales und Negatives gilt, kann der Ausdruck Verschwulung als Schimpfwort für die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik verwendet werden (vgl. Pirinçci 2015). Für Lann Hornscheidt (2013, 48) sind diskriminierende Äußerungen entsprechend durch ein Dispositiv gerahmt, das die strukturellen Machtpositionen der an einer Kommunikation Beteiligten konstituiert. Macht wird dabei als die Möglichkeit verstanden, Normalitätsvorstellungen zu generieren, und korreliert mit der Verteilung von Ressourcen, seien es symbolische oder materielle.

Die Möglichkeit, jemanden zu beleidigen, herabzuwürdigen oder auszugrenzen sind also in vielfacher Hinsicht mit gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen verwoben (vgl. hierzu ausführlicher Scharloth 2018). Beleidigende Äußerungen speisen sich aus gesellschaftlichen Konventionen und Normalitätsvorstellungen, sie sind gebunden an ökonomisches, soziales oder kulturelles Kapital und ihre Geltung ist das Ergebnis von Anschlusskommunikationen, die sich teilweise in der Form gesellschaftlicher Debatten über die (Un-)Angemessenheit sprachlicher Äußerungen materialisieren. Bei der Beschäftigung mit Schimpfwörtern geht es also um mehr als nur um Wörter. In ihnen aktualisieren sich gesellschaftliche Konflikte um Partizipation, um Deutungsmacht und damit um die soziale Ordnung.

 

2. Schimpfwörter als Medien der Herabwürdigung und Ausgrenzung in rechten Diskursen

Schimpfwörter prägen den Sound vieler rechter Netzdebatten. Mit der Genese des Web 2.0, der Verbreitung partizipativer und kollaborativer Online-Plattformen also, bildeten sich auch rechte, virtuell vernetzte Gemeinschaften in Online-Foren, Kommentarspalten von Nachrichtenplattformen, sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten, in denen populistische, extremistische und offen rassistische Positionen vertreten wurden. Im Zuge der Europäischen Flüchtlingskrise entstanden zudem zahlreiche sogenannte Alternativmedien, die die regierungs-, medien- und zuwanderungskritischen Einstellungen und autoritären und rassistischen Haltungen aufgriffen und verstärkten. Kritik wird hier häufig zur Schmähkritik und Ethnisierungen und Rassifizerungen zu dominanten Framingstrategien.

Die folgenden Ausführungen beruhen auf Texten, die auf rechten Blogs und News-Seiten in den Jahren 2013-2017 publiziert wurden und schließt teilweise auch die Userkommentare ein. Zu ihnen gehören PI News, Epochtimes, DWN, Hartgeld, MM News, Kopp Info, Achgut, Tichys Einblick, Jouwatch, Philosophia perennis, Politikstube, Opposition24, Hadmut Danisch, Bachheimer, 1nselpresse, Michael Mannheimer, Freie Welt und Geolitico, die in einem populartitätsbasierten Ranking von Wolfgang Prabel, einem AfD-Mandatsträger, zu den 25 meistgeklickten „Alternativmedien“ gezählt wurden (vgl. https://www.prabelsblog.de/2017/05/die-hitparade-der-apo-blogs-2017/). Zusätzlich wurden die Seiten des Compact-Magazins, das Blog seines Mitgründers Jürgen Elsässer, anonymousnews.ru, das Blog von Akif Pirinçci, eigentümlich frei, Journalalternativmedien, Propagandafront, Propagandaschau, Sezession Online, Quotenqueen und zuwanderung.net in die Analyse einbezogen. Insgesamt umfasst das Untersuchungskorpus damit 29 rechte Online-Medien, von denen jeweils bis Ende 2017 alle Texte erfasst wurden. Das Korpus umfasst rund 182 Millionen Wörter. In diesem Korpus [34|35] finden sich weit mehr als 30.000 Schimpf- und Beleidigungswörter (vgl. Scharloth 2021b), mittels derer die folgende Typologie der Bildung von Schimpfwörtern illustriert werden soll.

Die Bildung von Schimpfwörtern in neurechten Diskursen erfolgt mit denselben Mitteln, mit denen Schimpfwörter auch im Rest der Gesellschaft gebildet werden.2 Es zeigen sich aber zahlreiche Spezifika in der Wahl der sprachlichen Mittel, die als Ausdruck der Ideologie der neuen Rechten gedeutet werden können.

Die nachfolgenden Abschnitte zitieren stark abwertende, teils rassistische Ausdrücke. Ihre Wiedergabe erfolgt im Bewusstsein dessen, dass ihre Zitierung, jene Stereotype reproduziert, durch die diese Ausdrücke erst ihre invektive Kraft erhalten. Ein kritischer, distanzierender Gebrauch hat aber das Potenzial, die Bedeutung von Wörtern zu verschieben und zwar insbesondere dann, wenn sie von ihren ursprünglichen Kontexten gelöst und wie im vorliegenden Fall verdichtet und als Phänomene eines rassistischen Diskurses kenntlich gemacht werden. Herabwürdigende Ausdrücke für Minderheiten und andere rassifizierende Ausdrücke wurden erheblich reduziert. Sie ganz wegzulassen hätte aber auch bedeutet, einen wesentlichen Teil der Ideologie der neuen Rechten unsichtbar zu machen und damit auch zu verharmlosen.

2.1 Graphematische Wortbildungsmittel

Als graphematische Wortbildungsmittel bezeichnet die Linguistik Veränderungen des Wortkörpers durch Hinzufügung oder Umwandlung von Schriftzeichen, durch die ein konventionalisiertes Lexem so verändert wird, dass es eine andere Bedeutung erhält. Dies ist etwa bei der Großschreibung von Buchstaben auch im Wortinneren der Fall. In Ausdrücken wie ReGIERung, AußenMINIster oder POlitiker werden subversive Lesarten von Lexemen markiert, die den bezeichneten Gegenständen und Sachverhalten eine zusätzliche, pejorative Bedeutungsdimension zuschreiben.

Häufig wird mit Binnenmajuskeln auf den Islam und Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten angespielt wie in islaMISTisch, ALImentsempfänger oder zukunftsORIENTiert. Verfremdend werden [35|36] auch alternative oder zusätzliche Grapheme verwendet, um Schmähausdrücke für Toponyme zu bilden wie im Fall von FORDERasien, AFFENghanistan oder ANALtolien. Häufig dienen die zu SS-Runen stilisierten Binnenmajuskeln auch dazu, in Wörtern wie MuSSlime, ISSlam oder SSharia historische Parallelen zwischen nationalsozialistischer Ideologie und Islam zu insinuieren.

Ein weiteres graphematisches Mittel, dessen sich Neurechte bei der Bildung von Schmähausdrücken häufig bedienen, ist die Hinzufügung von Graphemen oder Morphemen in Klammern. Ausdrücke wie Frei(wild)burg, Messe(r)-Stadt Leipzig oder Berlin-Gesund(stoss)brunnen verfremden konventionelle Ortsbezeichnungen und assoziieren sie mit (sexualisierter) Gewalt und Verbrechen.

Statt Schimpfwörter auszuschreiben, ersetzen neurechte Autorinnen und Autoren in ihnen gerne einzelne Buchstaben oder ganze Silben durch Auslassungszeichen. Dies kann mit dem Asterisken <*> geschehen, aber auch mit dem eine Löschung bzw. Ausstreichung markierenden x. Neben gängigen Tabuwörtern analen, fäkalen oder sexuellen Charakters (Ar***, Sch***, Schw***, durchf****n) sind es vor allem Ethnophaulismen und Rassifizierungen wie K***nucke (als Synonym für Kanake), Kümmelt**ke, Kamelfi**erbastard, Ziegenf***errasse oder Ni**er, die in rechten Foren maskiert werden.

Diese Maskierung kann zweierlei Gründe haben, die durchaus miteinander verschränkt sein können: Zum einen mag die Umgehung technischer Filter und die Angst vor Sperrungen ein Motiv sein, Tabuwörter nicht auszuschreiben. Zum anderen ist jede Maskierung auch ein Verweis auf die vermeintlich allgegenwärtige „political correctness“, für Sprechverbote und politische Zensur, die mit jedem Auslassungszeichen thematisiert und angeklagt werden. Entsprechend erstaunt es nicht, dass Asterisken bisweilen nicht zur Ersetzung von Buchstaben benutzt werden, sondern lediglich zur Maskierung eines Wortes. Im Wort Nutztierf*i*c*k*e*r sind sämtliche Buchstaben vorhanden und das Wort bei Ignorierung der Asterisken lesbar. Analog findet man nicht nur das Wort Kinderf***** für die Mitglieder der GRÜNEN, sondern auch das Wort Kinderf*i*c*ker, nicht nur das Wort K*n*k*nh*r*n, sondern eben auch K*a*n*a*c*k*e*n und H*u*r*e*n in den Texten rechter Onlinemedien.

Auch Anführungszeichen werden in neurechten Diskursen zur Bildung graphematischer Varianten benutzt, um eine Distanzierung von Form oder Inhalt von Wörtern zu signalisieren. Das mit Abstand am häufigsten mittels modaler Anführungszeichen markierte Wort ist Flüchtling. Anführungszeichen werden aber nicht nur am Anfang und Ende eines Wortes verwendet. Wenn Neurechte bezweifeln, dass Seenotretter tatsächlich Menschen in Not retten, dann schreiben sie See"not"rettung. Und sie schreiben abschätzig von der Fußball"national"mannschaft, wenn ihrer Meinung nach zu viele Spieler mit Migrationshintergrund auf dem Platz stehen. Mit der Schreibung "Verfassungs""schutz" bringen sie nicht nur ihre Zweifel zum Ausdruck, dass der Inlandsgeheimdienst effektiv die Verfassung schütze, sondern auch, dass Deutschland eigentlich keine echte Verfassung habe. Und die als "Gender""forscher"Innen bezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen nicht, denn sie haben in rechten Augen gar keinen Gegenstand.

Sprache - das zeigen Anführungszeichen und Maskierungen - ist in neurechten Augen Herrschaftsinstrument. Sie wird von Medien und Politik geprägt, um Sachverhalte zu verschleiern und freie Rede zu unterdrücken. Verfremdungen und subversive Schreibungen als Formen der Sprachkritik lassen in den Wörtern eine Wahrheit aufscheinen, die der Mehrheit der Sprachbenutzerinnen und -benutzer verborgen bleibt. Wie bei Verschwörungserzählungen sind es nur wenige Auserwählte, denen sich die Wirklichkeit hinter der Fassade des eingespielten Sprachgebrauchs erschließt.

2.2 Schimpfwortbildung durch Derivation

Zu den Derivationssuffixen, die besonders produktiv bei der personenbezogenen Schimpfwortbildung im Deutschen sind, zählen /-ler/, /-ling/, /-lant/ und [36|37] /-lein/. Weil in rechten Onlinemedien und Foren Personen häufig als repräsentativ für eine von Rechten verachteten Gruppe oder Klasse dargestellt werden, finden sich eine Vielzahl von abwertenden Ausdrücken mit dem Suffix /-ler/. Hierzu zählen etwa Bezeichnungen für Vertreter des politischen Systems und der freiheitlichen Werteordnung der Bundesrepublik wie BRDler, Altparteiler, Schuldkultler und NWO-ler, Bezeichnungen für Vertreter der Presse wie Lügenpressler, ZDFler und GEZ-ler, aber auch zahlreiche Schmähausdrücke für Migranten wie Steinzeitler, Drittweltler, Migrationsvordergründler und Einzelfäller.

Das Suffix /-lant/ wird häufig in Bezeichnungen für Journalisten verwendet. Diese werden von Neurechten etwa als Schmierulanten oder Regierungsschmierulanten, als Lügenpressesabbelanten, Lügilanten, Fabulanten oder Manipulanten beschimpft. Am häufigsten wird es aber bei Ausdrücken verwendet, die für neurechte Autorinnen und Autoren bedeutungsgleich mit dem Lexem Asylant sind wie Flüchtilant oder Flutilant. Häufig handelt es sich auch um Kontaminationen mit anderen Schimpfwörtern, etwa im Fall von Killerfluchtilant, Fickilant, Merkelant und Assilant.

Personenbezeichnungen mit der Endsilbe /-ling/ hat in Zusammensetzungen mit einem oft auch negativen Wortstamm häufig die Bedeutung von „klein, wertlos oder auch massenhaft“. Geflüchtete werden als Eindringlinge, Flutlinge, Primitivlinge oder gar als Schädlinge bezeichnet. In Bezeichnungen wie Messerlinge, Mordlinge oder Terrorlinge werden sie zu Kriminellen erklärt, und durch Ausdrücke wie Geilling, Zudringling, Grabschling oder Fickling wird ihnen ein unkontrollierbarer Sexualtrieb zugeschrieben. Politische Gegner werden von neurechten Autorinnen und Autoren als Gutlinge, Systemlinge, Gehirnwäschlinge oder Grünlinge diffamiert. Und Ausdrücke aus der NS-Sprache wie Mischling und Schädling werden wieder zu menschenverachtenden Komposita wie Afromischling, Muselmischling, Neger-Orientalen-Mischling und Volksschädling, Kulturschädling, Asylschädling verschmolzen. Überlegenheit gegenüber der bezeichneten Menschengruppe [37|38] kommt in Wortbildungen mit dem Suffix /-lein/ zum Ausdruck. So verwenden Neurechte rassistische Bezeichnungen wie Neecherlein, Öläuglein oder Braunäuglein, oder diffamieren vermeintliche Gutmenschlein bzw. Bessermenschlein.

Die große Zahl an Schimpfwörtern mit den Endungen /-ler/, /-lant/, /-ling/ und /-lein/ ist ein Beleg dafür, dass die Ausgrenzung und Schmähung von Personen als Repräsentanten einer Gruppe ein wichtiges Merkmal neurechter Kommunikation ist. Schimpfwörter dieses Typs zielen einerseits auf Journalistinnen und Journalisten sowie politische Gegner. Am häufigsten freilich werden Angehörige religiöser Minderheiten oder Personen, die äußerlich nicht neurechten Vorstellungen von Deutschsein entsprechen, Ziel von Schmähungen. Sie werden pauschal als kriminell, triebgesteuert, weniger wert und schädlich bezeichnet. Im personenbezogenen Schimpfwortschatz wird die rassistische und entmenschlichende Ideologie der Neurechten sichtbar.

Doch werden nicht nur Menschengruppen, sondern auch Räume, aus denen sie stammen bzw. in denen sie leben zum Gegenstand von Beschimpfungen  (vgl. Scharloth 2021a). Eine Strategie zur Abwertung von Ländern, Staaten und Städten ist die Hinzufügung von Toponymen-Suffixen, die eine geographische Lage im Nahen und Mittleren Osten denotieren. Besonders häufig wird das Suffix /-stan/ oder /-istan/, das im Persischen so viel wie „Ort des“ oder „Heimat von“ bedeutet und in Toponymen wie Afghanistan, Kurdistan oder Kasachstan vorkommt, zur Bildung von raumbezogenen Schimpfwörtern verwendet. Autorinnen und Autoren rechter Online-Medien bezeichnen beispielsweise islamisch geprägte Länder als ArschHochHebistan, Islamofaschismustan oder Djihadistan. Zugleich wird das Suffix auch dazu verwendet, offizielle Ortsnamen zu erweitern (Londonistan), zu verfremden (Deutschistan, Badgodistan) oder zusätzliche Bedeutungen in Wortneubildungen zu evozieren (Mültikültistan, Allamanistan, Buntlandistan, Merkelstan).

Ebenso eine Spezifik neurechter raumbezogener Schimpfwörter sind Wortbildungen mit den Endungen /-anien/ oder /-nien/ (wie in Albanien und Jordanien) und /-nesien/ oder /-esien/ (wie in Tunesien oder Indonesien). Mit ihnen werden einerseits die bezeichneten Räume abgewertet (Balkanien, Fidschinesien), teilweise aber auch die in ihnen lebende Bevölkerung (Muselmanien, Affrikanien, Kanakeranien, Clanonesien). Andere Endungen, die in offiziellen Namen von Städten aus dem Nahen und Mittleren Osten vorkommen wie /-bul/ und /-abad/, werden auf den Seiten rechter Onlinemedien zur Verfremdung offizieller Städtenamen verwendet. Beispiele sind Brüsselabad und Brüsselbul, Bonnstambul, Duistanbul, Kölnstanbul, Al-Kölnabul und Allahbad Godesberg.

Die Bildung von Schimpfwörtern mittels Ableitungssuffixen, die Teil von Toponymen aus dem Nahen und Mittleren Osten oder Südeuropa sind, zeigt einerseits, dass diese Regionen in neurechten Diskursen per se als minderwertig betrachtet werden. Werden die Suffixe mit konventionellen Namen europäischer oder deutscher Räume kombiniert, entstehen andererseits Schimpfwörter, die eine vermeintliche Überfremdung und Islamisierung dieser Regionen insinuieren.

Ungewöhnlich viele Schmähausdrücke in neurechten Onlinemedien beziehen sich zudem auf Weltanschauungen und Wertvorstellungen, wobei die pejorative Bedeutungsdimension durch das Suffix /-tum/ evoziert wird, das im Deutschen vorwiegend in abstrakten Substantiven auftritt. Eine liberale Haltung in Zuwanderungsfragen und das Erinnern an moralische Verpflichtungen werden beispielsweise als Gutmenschentum, Moralherrenmenschentum, Tugendwächtertum oder Oberlehrertum verunglimpft. Ihren Mitmenschen attestieren Neurechte Duckmäusertum, Mitläufertum, Untertanentum und Dhimmitum3 und der deutschen Regierung Kapitulantentum, Vasallentum und Speichelleckertum. Haltungen ihrer politischen Gegner denunzieren Neurechte als Merkeltum, Linkstum, Antifantentum und im Fall der Grünen als Päderastentum und [38|39] Kinderschändertum. Auch Bestrebungen zur Gleichstellung von Minderheiten werden mit Hilfe des Suffix /-tum/ pauschal als Emanzentum, Gendertum, Transentum oder Schwulettentum abgewertet.

Um politische Meinungen als Ausdruck extremer Ideologie erscheinen zu lassen, bezeichnen Neurechte sie häufig mit Ausdrücken mit dem Suffix /-ismus/. So werden unterschiedliche Motive für die Befürwortung von Zuwanderung als Multikultismus, Devotismus oder Hypermoralismus diskreditiert. Das Eintreten für die Rechte von benachteiligten Gruppen (Minderheitenfetischismus) wird als Genderismus, Homosexualismus, Lesbianismus und Transgenderismus bezeichnet. Und Einsatz für Umwelt- und Klimaschutz wird zum Ökologismus, Klimatizismus oder Klimakatastrophismus. Und die Schuld an all dem haben Merkelismus, Grünismus und Linkismus.

Wörter mit /-tum/ und /-ismus/ ersparen den Neurechten die Auseinandersetzung mit inhaltlichen Details. Mit ihnen lässt sich jede Weltanschauung, jeder moralische Impuls und jeder Ansatz praktischer Politik auf grundsätzlich falsche, weil vermeintlich ideologiegetriebene oder sonst wie pathologische Geisteshaltungen zurückführen.

2.3 Schimpfwortbildung durch Kontamination und Komposition

Die Kontamination ist eine Form der Verfremdung von Wörtern, bei der mindestens zwei lexikalische Morpheme miteinander verschmolzen werden.

Diese Wortbildungsstrategie wird auf neurechten Online-Plattformen häufig zur Amalgamierung eines pejorativen Ausdrucks mit Lexemen eingesetzt, die Personen, eine Gruppe oder kritisch bewertete Sachverhalte referenzieren. Beispielsweise wird das abwertende Wort Halunke dazu benutzt, andere Wörter wie Journalist oder Asylant zu kontaminieren, wodurch Neuschöpfungen wie Journalunke und Asylunke entstehen, analog wie beim Schimpfwort Lump, das in Kontaminationen wie Journalump und Asylump benutzt wird.

Häufig finden sich auch Kontaminationen mit Schädlingen aus dem Tierreich im neurechten Schmähwortschatz, etwas solche mit dem Wort Ratte. So fallen häufiger die Wörter Migratte und Integratte, wenn von Zuwanderern die Rede ist, oder die Ausdrücke Demokratte, Sozialdemokratte und Christdemokratte, wenn Politiker jenseits der AfD zum Thema werden. Auch Bürokratten und Journaratten finden sich im neurechten Schimpfwortvorrat.

Das Mittel der Kontamination wird auch verwendet, um Schimpfwörter für Feministinnen zu kreieren. Wegen des gesellschaftlichen Schadens, den sie vermeintlich anrichten, werden sie von Neurechten mit Metastasen verglichen und als Femastasen bezeichnet. Auch wird feministisches Denken mit Ausdrücken wie Femischist mit faschistischer Ideologie gleichgesetzt und vor einer vermeintlichen totalen Herrschaft der Frauen wird mit Bezeichnungen wie Feminat und Feminatsi bzw. Feminazi gewarnt.

Häufiges Ziel für Kontaminationen sind schließlich auch die Namen von Fernsehmoderatoren. Sandra Maischberger wird zu Kreischberger, Marietta Slomkas Vorname zu Marionetta, Jakob Augstein wird zu Augschwein und Jan Böhmermann zu Böhmerdepp, Böhmeridiot, Böhmersau oder Böhmerlaus. Solche Verfremdungen von Namen werden also dazu benutzt, vermeintlich definierende Aspekte im Handeln oder im Charakter von Personen des öffentlichen Lebens hervorzuheben.

Die bei weitem produktivste Methode der Neubildung von Wörtern und damit auch von Schimpfwörtern ist die Komposition, die Kombination von mindestens zwei lexikalischen Morphemen. Die meisten dieser Zusammensetzungen sind Determinativkomposita, bei denen das zweite Glied (Grundwort) durch das erste Glied (Bestimmungswort) näher bestimmt wird. Bei rechten Schimpfwörtern ist das Zweitglied meist der herabzuwürdigende Sachverhalt, das Erstglied ein lexikalisches Morphem mit pejorativer Bedeutung. Dies kann ein Nomen sein wie im Fall der Wörter Lügenpresse, Pinocciopresse und Manipulationspresse. Aber auch Adjektive (Buntpresse, Blödpresse oder Linkspresse) und Verben (Kotzpresse, Kriechpresse oder Hetzpresse) können als Erstglied gebraucht werden.

Es finden sich aber auch zahlreiche nebenordnende Komposita in den Texten [39|40] neurechter Onlinemedien, die aus einer Reihung ähnlicher Wörter bestehen. In ihnen werden alle Kompositionsglieder zu Vertretern derselben Klasse, d. h. sie teilen nach Meinung ihrer Benutzerinnen und Benutzer zentrale semantische Merkmale (vgl. Scharloth i. Dr.). Mit einem Ausdruck wie dumm-rot-links-grün werden politische Orientierungen und geringe Intelligenz als zusammengehörig gedeutet. Mit dem Ausdruck multi-kulti-ficki-ficki wird sprachlich ein Zusammenhang zwischen Gesellschaftskonzept und Sexualdelikten hergestellt. Wenn ethnifizierende und religionsbezogene Gruppenzugehörigkeiten zu einem Ausdruck wie islamisch-türkisch-afrikanisch-afghanisch zusammengezogen werden, werden Differenzierungen überflüssig. Und wenn alle großen demokratischen Parteien im Wort C*DUSPDCSUFDPLinkeBürgerkrieg90/DiePädophilen vereint werden, dann wird die vermeintliche politische Ununterscheidbarkeit der Altparteien insinuiert.

Oft werden Komposita auch zur Steigerung der Ausdrucksintensität gebildet, indem Neurechte verstärkende Adverbien und Absolutheit kodierende Endungen sarkastisch mit Hochwertwörtern kombinieren. Aus einem Gutmensch, wird dann ein Supergutmensch, Superdupergutmensch, Ultragutmensch, super-giga-besonders-Gutmensch, super-hyper-extra-positiv-Gutmensch, Bessermensch, Nochbessermensch, Superbessermensch, Bestmensch, Supergutbestmensch, Supergutbestübermensch oder ein Supergutüberhochleistungs-bestmenschTradeMark.

 

3. Fazit

Soziale Bewegungen haben immer Spuren in der Sprachgeschichte hinterlassen. Die 68er-Bewegung ist für ihren Politjargon berüchtigt, die Sponti-Bewegung ist mit ihren Spontisprüchen ins kollektive Gedächtnis eingegangen, die Frauenbewegung hat die Frage der sprachlichen Gleichberechtigung auf die Agenda gesetzt. Die neue Rechte als verschwörungstheoretisch grundierte migrations- und islamfeindliche Bewegung wird mit Beleidigungen und Hassrede als konstitutivem sprachlichen Merkmal in die Sprachgeschichte eingehen. Aber welche Funktionen hat der Schimpfwortgebrauch für die neuen Rechten?

Erstens ist die Abwertung von Anderen immer auch eine Aufwertung des Eigenen. Im gemeinsamen Schmähen vergewissern sich Neurechte demnach ihrer eigenen Überlegenheit gegenüber dem minderwertigen, korrupten oder bösartigen Anderen. Die Ablehnung von allem und jedem ist der kleinste gemeinsame Nenner einer ansonsten ideologisch recht heterogenen Diskursgemeinschaft. Im Beleidigen formiert sich die neue Rechte überhaupt erst als (Anti-)Wertegemeinschaft.

Zweitens muss beleidigendes und herabsetzendes Sprechen auch im Kontext der Aufmerksamkeitsökonomie gedeutet werden, in der Empörung und Skandalisierung durch andere willkommene Verstärker im Resonanzkalkül der neuen Rechten sind. Reagiert die Öffentlichkeit nämlich mit Empörung auf Hassrede und Hetze, dann ermöglicht dies Inhalte im öffentlichen Diskurs zu platzieren, die sonst in den Arenen rechter Onlinemedien ein Schattendasein fristen würden.

Drittens: In einer auf gemeinsamen Normen basierenden demokratischen Gesellschaft sind Konflikte freilich unvermeidlich. Sie verfügt jedoch über Verfahren, diese Konflikte zu bearbeiten und in Konsens oder Kompromiss zu überführen. Mit ihrer Sprache zeigen Neurechte, dass die Vorstellung von einem sich im Ausgleich der Interessen formierenden Gemeinwohl für sie keine Gültigkeit hat, nicht einmal als regulative Idee. Nicht einmal in den Formen der politischen Auseinandersetzung – in der Anerkennung der Anderen als Gesprächspartner, in der Selbstverpflichtung auf Rationalität und in der Bereitschaft zur Anerkennung des besseren Arguments – ist eine solche Basis gegeben. Mit ihrem Verhalten und ihren Äußerungen in Parlamenten und öffentlichen Arenen erklären Neurechte den Konsens, dass man trotz politischer Gegnerschaft zum Wohl der Gemeinschaft kooperieren muss, für beendet. Jede Beschimpfung, jede Ausgrenzung [40|42] ist eine performative Absage an den Dialog, die den politischen Gegner zum existenziellen Feind erklärt.

Abbildung 1
Abbildung 3: Schimpfwörter mit Schulbezug aus neurechten Online-Medien [41]

 

4. Literatur

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Fußnoten

1 Für eine systematische Diskussion des Verhältnisses von Sprache und Aggression vgl. Bonacchi 2017.

 

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Prof. Dr. Joachim Scharloth
Waseda University
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